Pod Mapping

Hier findet ihr das Pod Mapping Arbeitsblatt der Gruppe Bay Area Transformative Justice Collective. Ihr könnt den Pod in euren verschiedenen Gruppen ausfüllen und auch mehrere Pods haben.

Arbeitsblatt

Von Mia Mingus vom Bay Area Transformative Justice Collective, Juni 2016
Inhaltlich übersetzt von ignite! Kollektiv Oktober 2022

Im Frühling 2014 begann das Bay Area Transformative Justice Collective (BATJC) den Begriff Pod für bestimmte Formen von Beziehungen innerhalb der Transformativen Gerechtigkeitsarbeit zu benutzen. Wir brauchten einen Begriff, der die Beziehungen beschreibt, welche füreinander einstehen wenn Gewalt, Verletzungen oder Missbrauch erfahren werden. Egal ob wir diese Gewalt selbst erfahren, sie mitbekommen oder sie ausüben, das sind die Menschen die wir anrufen würden um Unterstützung zu erfahren, wie zum Beispiel akute oder langfristige Sicherheit, Verantwortungsübernahme, die Veränderung von Verhaltensweisen oder individuelle und kollektive Heilungsprozesse.

Häufig wird der Begriff “Community” oder “Gemeinschaft” im Rahmen der Transformativen Gerechtigkeit benutzt. Wir haben aber festgestellt, dass sich viele Menschen nicht als Teil einer Gemeinschaft sehen und darüber hinaus nicht wissen, was Gemeinschaft bedeutet oder hatten sehr viele unterschiedliche Definitionen und Ideen davon. Für manche ist Gemeinschaft/Community ein übergeordneter Begriff der eine große Anzahl an Menschen aufgrund ihrer Identität meint (z.B. die feministische Community). Für andere jedoch bezieht sich Gemeinschaft auf beliebige Werte, Praktiken und/oder Beziehungen (z.B. “Wir kennen uns nicht gut, aber wir sind in einer Gemeinschaft”). Und wieder andere definieren Gemeinschaft schlicht durch ihre geographische Nähe, unabhängig von Beziehungen und Identität (z.B. Berlin). Außerdem haben wir festgestellt, dass Menschen Gemeinschaft romantisieren. Oder dass, obwohl sie sich als Teil einer großen Gemeinschaft sehen, sie nur wenige wichtige und vertrauensvolle Beziehungen mit wenigen realen Menschen haben. Zum Beispiel fühlt sich eine Person als Teil der “Queeren Community” von der sie denken dass diese in Krisen für sie da sind, konnten aber auf Nachfrage nur zwei bis drei reale Personen benennen.

Obwohl Gemeinschaft ein alltägliches Wort ist, wissen viele Menschen nicht was es ist oder denken, dass sie niemals eine erlebt haben. Dadurch kam es immer wieder zu Verunsicherung, wenn wir Begriffe wie “gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme” oder “gemeinschaftlicher Umgang mit Gewalt” benutzen oder Menschen dazu ermutigten, sich “an ihre Gemeinschaft zu wenden”. Und das wurde noch komplizierter wenn wir über intime und sexualisierte Gewalt sprechen, weil diese häufig in den eigenen “Gemeinschaften” passiert. Viele Menschen erleben durch Bekannte und Verwandte Gewalt.

Wir brauchten also einen anderen Begriff um zu beschreiben, was wir eigentlich sagen wollen. “Pods” wurde vorgeschlagen und wir sind dabei geblieben. Das bedeutet nicht, dass wir den Begriff “Gemeinschaft/Community” nicht mehr benutzen – ganz im Gegenteil. Aber wir mussten für unsere Arbeit eine neue Sprache erschaffen.

Allgemein wissen wir, dass Menschen, die Gewalt, Verletzungen und Übergriffe erfahren, sich zuerst an vertraute Netzwerke wenden bevor sie an externe Strukturen wie den Staat oder Sozialdienste herantreten. Die meisten Menschen gehen nicht zur Polizei oder Beratungsstellen oder rufen anonyme Telefonstellen an. Fall sie es überhaupt erzählen, dann einer vertrauten Person, Familienmitgliedern, Nachbar*innen oder Kolleg*innen. Wir wollten diesem Netzwerk, an das du dich in Notsituationen wendest, einen Namen geben.

POD

Dein Pod besteht aus Menschen an die du im Notfall wenden würdest; oder aus Menschen an die du dich wenden würdest, wenn du Unterstützung brauchst um von dir ausgeübte Gewalt, Verletzung oder Übergriffe verantwortungsvoll anzugehen; oder falls du Gewalt mitbekommen hast oder falls ein dir nahestehender Mensch Gewalt ausgeübt oder erfahren hat.

Menschen können mehrere Pods haben. Die Menschen an die du dich wenden würdest wenn du Gewalt erfahren hast, sind vielleicht nicht die gleichen wie wenn du Gewalt ausgeübt hast. Im allgemeinen hast du mit den Pod-Menschen eine Beziehungs- und Vertrauensebene, auch wenn alle wahrscheinlich unterschiedliche Kriterien für ihre Pods haben.

Sobald wir angefangen haben den Begriff “Pod” zu nutzen sind uns einige Dinge aufgefallen:

– Die meisten Menschen haben wenige solide und zuverlässige Beziehungen in ihren Leben. Das basiert hauptsächlich auf der Isolation, Angst und Kriminalisierung durch den Kapitalismus. Wir haben erlebt, dass für viele Menschen der “Pod-Prozess” eine ernüchternde Erfahrung war, da viele dachten dass ihr Pod größer sei als gedacht. Es ist nicht selten dass Menschen 1-2 Namen in ihrem Pod haben. Wir betonen, dass das kein Beliebtheitswettbewerb ist, sondern eine Chance zu reflektieren, warum wir nur so wenige tiefe und vertrauensvolle Beziehungen haben, die es aber braucht um gute Umgangsweisen mit Gewalt zu finden.

– Viele Menschen haben weniger Menschen an die sie sich wenden würden wenn sie Gewalt ausgeübt haben, als wenn sie Gewalt erfahren haben. Auch wenn kompetente Unterstützung für Gewalterfahrende rar und nur vereinzelt zu finden ist, ist ein verantwortungsvoller Umgang für einen Menschen der Verantwortung für ausgeübte Gewalt übernimmt noch schwerer zu finden. Häufig steckt das Umfeld dann mit den Gewaltausübenden unter einer Decke oder reproduziert Vorwürfe und Schuldzuweisungen gegenüber Gewalterfahrenden mit dem eigentlichen Ziel einen Menschen darin zu unterstützen Verantwortung zu übernehmen. Viele bleiben aber auch gar nicht in Kontakt mit gewaltausübenden Personen.

– Die Menschen zu fragen wie sie ihren Pod organisieren würden, hat sich viel konkreter angefühlt als Menschen zu fragen wie sie ihre Gemeinschaft organisieren würden. Als wir erst einmal eine gemeinsame Sprache und ein geteiltes Konzept zum Pod hatten, war Transformative Gerechtigkeit wesentlich zugänglicher. Vorbei waren die Fantasien einer großen, magischen “gemeinschaftlichen Verantwortung” voller Menschen mit denen wir nur oberflächliche Beziehungen pflegen. Stattdessen fordern wir uns und andere auf und heraus, solide Pods auf Grundlage von Beziehungen und Vertrauen aufzubauen. Dabei werden wir dazu gebracht uns damit auseinanderzusetzen, wie diese Beziehungen aussehen und wie sie aufgebaut sind. Es platziert Beziehungsarbeit im Zentrum Transformativer Gerechtigkeit.

– Pod-Menschen bewegen sich nicht in traditionelle Beziehungsräumen, vor allem wenn es um zwischenmenschliche und sexualisierte Gewalt geht. Menschen wenden sich nicht unbedingt an ihre engsten Beziehungen (z.B. Partner*innen, Familie, beste Freund*innen), vor allem weil die Gewalt häufig aus diesen kommt. Aber auch weil die Kriterien, nach denen wir unsere Pod-Menschen auswählen nicht unbedingt die gleichen sind, nach denen wir allgemeine zwischenmenschliche Beziehungen aussuchen (oder gelernt haben auszusuchen). Wir haben unterschiedliche und spezifische Arten von Beziehungen mit unseren Pod-Menschen, häufig kommt zu der Beziehungs- und Vertrauensebene viele weitere Kombinationen verschiedener Kriterien hinzu. Zum Beispiel, aber nicht ausschließlich: das Wissen um guten Konfliktumgang und Grenzen, die Fähigkeit Feedback zu geben und zu empfangen, Verlässlichkeit. Dass alles sind Eigenschaften und Fähigkeiten die wir in der Gesellschaft der USA nicht gelernt haben wertzuschätzen. Und meistens haben wir diese Fähigkeiten auch nicht in unseren nahen Beziehungen.

Analysen herzustellen war viel einfacher als die Beziehungen und das Vertrauen aufzubauen, die es für den eigenen Pod braucht. Sobald Menschen angefangen haben ihren Pod zu identifizieren, wurde schnell klar dass die meisten sich nicht an politisch Organisierte oder Aktivist*innen wenden würden und normalerweise keine politische Analyse dazu hatten. Indem die Sprache des Pod benutzt wurde, konnten Menschen dort abgeholt werden wo sie sind um ihnen zu zeigen, was in ihren zwischenmenschlichen Netzwerken schon für Ressourcen vorhanden sind. Menschen hatten schon andere Menschen in ihren Leben an die sie sich im Notfall wenden würden, auch wenn es nur eine Person ist. Und genau darauf müssen wir unseren Fokus legen, anstatt zu versuchen Beziehungen mit Fremden aufzubauen die vielleicht die gleiche politische Analyse teilen, aber keine Beziehung und erst recht kein Vertrauen untereinander haben. Wir sind darauf angewiesen, durch unsere Beziehungen und unser Vertrauen Dinge aufzubauen. Wir haben dann daran gearbeitet, eine geteilte Analyse aufzubauen, um zwischenmenschliche und sexualisierte Gewalt zu verstehen, hier ein Hinweis zu den vielen unsere Studien zu Transformativen Gerechtigkeit.

– Das BATJC konzentriert sich auf Transformative Gerechtigkeit in Bezug auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Indem das Konzept des Pods genutzt wird können auch Kinder dort abgeholt werden wo sie sind , denn 5 Jährige werden uns nicht um Hilfe bitten und erst Recht keinen gemeinschaftlichen Prozess der Verantwortungsübernahme anstoßen. Je mehr wir uns mit unseren eigenen Pods beschäftigen und uns über die Sicherheit und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen unterhalten, desto besser sind wir darauf vorbereitet, mit intimer Gewalt gegen Kinder in unseren eigenen Netzwerken umzugehen.

– Beziehungen und Vertrauen, nicht unbedingt politische Analyse, sind die beiden wichtigsten Faktoren in erfolgreichen Transformativen Gerechtigkeitsprozessen, sei es in der Unterstützung von betroffenen Personen oder in Prozessen der Verantwortungsübernahme. Auch wenn geteilte Sprache, Werte und politische Analysen sehr nützlich sein können, finden wir es leichter diese aufzubauen wenn Beziehungen und Vertrauen schon existieren. Denn wenn wir darauf aufbauen, dann legen wir nicht nur den Grundstein für erfolgreiche Prozesse der Transformativen Gerechtigkeit, sondern sorgen dafür, dass Menschen überhaupt auf Gewalt reagieren.

– Es gibt viele Menschen, die überhaupt keine Menschen in ihrem Pod haben. Das ist die Realität vieler isolierter Gemeinschaften oder Individuen, denn genau so wirken Kapitalismus, Unterdrückung und Gewalt. Zum Beispiel sind viele Menschen mit Behinderung extrem isoliert, da sie keinen Zugang und Ressourcen haben.Viele migrantisierte Frauen of Color sind aufgrund von Sprachbarrieren und fehlenden Dokumenten isoliert; Erwachsene, Jugendliche und Kinder die sexualisierte Gewalt erfahren, werden häufig durch die gewaltausübenden Personen isoliert. Wir hoffen, dass das Aufbauen und Wachsen von Pods – die es geben könnte oder schon existieren – dabei helfen kann, die Bedingungen für die Unterstützung von Menschen ohne Pods zu verbessern. Wir hoffen, dass Menschen in ihrem Alltag besser Unterstützung finden können, indem in der Bay Area [in Nordkalifornien] die Anzahl der Menschen die Gewalt erkennen, darüber sprechen und reagieren immer weiter wächst. Wir glauben auch, dass wenn Pods immer weiter wachsen wir die Strukturen, die Menschen isolieren, durchbrechen können. In diesem Sinne ist das Aufbauen unser eigenen Pods nicht nur für uns und die Menschen um uns herum nützlich. Es hat das Potenzial ein Netzwerk aus Pods aufzubauen, dass jede Person die Gewalt erfährt unterstützen könnte.

Anleitung für den Pod

Wir möchten Menschen ermutigen, mehrere Pods für unterschiedliche Situationen auszufüllen. Das ist auch nur ein Vorschlag, wir laden aktiv dazu das Konzept Pods weiterzuentwickeln.

1. Schreib deinen Namen in das graue Feld in der Mitte.

2. Die darum liegenden dick umrandeten Kreise sind dein Pod. Dott hinein kommen die Namen der Pod-Menschen. Wir ermutigen Menschen immer wieder, den Namen von realen Personen und nicht Gruppennamen oder Überbegriffe einzutragen.

3. Die gestrichelten Kreise um deinen Pod sind Menschen, die potenzielle in deinen Pod kommen könnten, aber es dafür noch ein bisschen Arbeit bräuchte. Zum Beispiel müsstest du erst noch mehr Vertrauen zu ihnen aufbauen. Oder vielleicht hattest du auch noch nie ein Gespräch mit ihnen über Gefängnisse oder Gewalt.

4. Die großen Kreise am Rand der Seite sind für Netzwerke, Gemeinschaften oder Gruppen die du als Ressourcen verwenden kannst. Es kann die lokale Organisationen gegen häusliche Gewalt sein, deine Freund*innen aus der Ausbildung, deine Jugendgruppe, eine Transformative Gerechtigkeitsarbeitsgruppe, etc.

Dein Pod wird sich über die Zeit vielleicht verändern, genauso wie es deine Bedürfnisse, Beziehungen und Wohnorte tun. Wir ermutigen Menschen, sich mit den Menschen aus ihren Pods auszutauschen, über Pods und über Transformative Gerechtigkeit. Genauso wie wir ihnen mitgeben, dass sie sich aktiv darum bemühen sollen, die Anzahl der Personen in ihrem Pod zu vergrößern und sich auch gegenseitig dazu zu ermutigen. Einen Pod entstehen zu lassen und zu vergrößern braucht Zeit und ist nicht einfach. Wenn wir über Pods nachdenken, dann messen wir unseren Erfolg an der Qualität der Beziehungen und wir brauchen dafür die Zeit, die es braucht um Beziehungen mit Vertrauen, Respekt, Verletzlichkeit, Verantwortung, Fürsorge und Liebe zu führen. Wir sehen den Aufbau von Pods als eine konkrete Maßnahme, um Ressourcen für Transformative Gerechtigkeit aufzubauen.

Kommentar des ignite! Kollektivs

Wir bedanken uns sehr bei dem BATJC für ihre wertvolle Arbeit und die Entwicklung der Pods. Das BATJC arbeitet in der Bay Area in Nordkalifornien (USA) hauptsächlich zu zwischenmenschlicher Gewalt gegen Kinder und hat in ihrer Arbeit einen stärkeren Fokus auf sexualisierte und häusliche Gewalt. Das Pod Mapping hilft jungen Menschen sich über ihre Beziehungen und Ressourcen klar zu werden.
Wenn wir diese Methode nicht nur in die deutsche Sprache, sondern auch in den deutschen Kontext übersetzen, dann ist uns ganz wichtig zu betonen, das Transformative Gerechtigkeit und das Pod Mapping nicht nur im Rahmen von sexualisierter Gewalt diskutiert werden soll. Gesellschaftliche Räume sind häufig und unausgesprochen unter anderem weiß, christlich, cis, endo und abled dominiert. Viele Methoden und Konzepte geben Möglichkeiten, verschiedene Diskriminierungsformen, Gewalt und Verletzungen sichtbar zu machen und anzuerkennen genauso wie die Möglichkeit, sich kritisch mit verschiedenen Machtmechanismen auseinanderzusetzen, nutzen wir sie!