Ansätze Transformativer Gerechtigkeit zum Umgang mit zwischenmenschlicher Gewalt in Gemeinschaften
Erstveröffentlicht auf femref.uni-oldenburg.de
Trigger-Warnung: Der folgende Text beschäftigt sich mit Formen zwischenmenschlicher, vor allem sexualisierter Gewalt, und Umgängen damit. Diese Themen können emotional belasten und triggern. Im Zweifel lest den Text nicht oder gemeinsam mit Freund*innen und achtet auf Euch.
Als politisch aktive Feminist*innen haben wir uns in den letzten Jahren in verschiedenen emanzipatorischen Kontexten und Projekten bewegt, deren Selbstverständnisse beinhalteten, antisexistisch, queer_feministisch, selbstorganisiert, autonom, herrschaftskritisch, … zu sein. Linksradikale Räume waren und sind Zufluchtsorte gerade für Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft Marginalisierung, Diskriminierung und Gewalt erlebt haben und erleben – FLINT* Personen, also Frauen, Lesben, Inter-, nicht binäre und trans* Personen, People of Color, Queers, Punks… Aber auch emanzipatorische Räume sind nicht frei von zwischenmenschlicher Gewalt, sondern gesellschaftliche Herrschaftsmechanismen setzen sich in Menschen und Strukturen fort. Dafür gibt es viele Beispiele: Ungleich verteilte Arbeiten, Mackertum auf Aktionen, informelle Ausschlüsse und Ausschlüsse entlang von Machtgefällen, das Geschehen und die Toleranz von sexualisierten Übergriffen bis hin zum (oft jahrelangen) Schutz von gewaltausübenden Personen1 in Polit-Strukturen. Zwischenmenschliche und gerade sexualisierte Gewalt bleiben also auch in „unseren“ Räumen eine Realität, zu der wir uns verhalten müssen. Oft provoziert dies vorstrukturierte Abläufe: Gewalt wird ignoriert, die Suche nach Umgängen verweigert und gewaltausübende Personen geschützt. Oder es herrscht Hilflosigkeit beim Versuch, mit Betroffenen umzugehen und Gewalt wird lediglich zurück gegen einzelne gewaltausübende Personen gerichtet während die Strukturen – der „Szene“ sowie der Gesellschaft -, die zwischenmenschliche Gewalt ermöglichen, völlig unangetastet bleiben. Eine Ausprägung dessen ist der „Strafrechtsfeminismus“, das Hilfesuchen feministischer Akteur*innen beim Rechtsstaat – die Polizei rufen, Anzeige erstatten, vor Gericht gehen, etc.2 Aber Recht schafft keine Gerechtigkeit, und schon gar keine Heilung von Gewalt Betroffener und ihrer Gemeinschaften. Stattdessen bearbeitet die Justiz Fälle von (sexualisierter) Gewalt nicht mehr als Konflikt der beteiligten Akteur*innen, sondern als abstrakten Rechtskonflikt vertreten durch die Staatsanwaltschaft, prüft einzig die Gegebenheit eines Straftatbestands, stellt dabei die „Glaubwürdigkeit“ einzelner Betroffener zur Disposition und erzwingt im Laufe des Strafprozesses immer wieder Konfrontationen mit dem Geschehenen. Zudem impliziert strafrechtsfeministisches Handeln, dass herrschaftliche Gewalt – z.B. rassistisches Polizeihandeln – akzeptiert und emanzipatorische Räume, die eben auch Schutzräume vor staatlichen Zugriffen sein sollen, für solche geöffnet werden, und alle, für die die Polizei nicht „Freund und Helfer“ ist – People of Color, Queers, Drogennutzer*innen, Sexarbeiter*innen, Menschen ohne festen Wohnsitz oder legalen Aufenthaltstitel, kriminalisierte oder von der Polizei traumatisierte Menschen3 – dort nicht (mehr) willkommen sind. Der Rechtsstaat ist selbst eine gewaltvolle, patriarchal-herrschaftliche Institution, welche z.B. Geschlechterherrschaft und-binarität (re-)produziert und zentraler Akteur rassistischer Grenz- und Sicherheitsdiskurse ist. Zur (Wieder-)Herstellung von Recht übt er wiederum Gewalt durch Strafe und einsperrendeInstitutionen aus. Wir sind überzeugt, dass der Rechtsstaat daher kein Partner im Kampf gegen (patriarchale) Gewalt sein kann.
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